FEMM Pickupsimulationen Next Level

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raumneun
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FEMM Pickupsimulationen Next Level

#1

Beitrag von raumneun » 14.11.2022, 15:58

Liebe Freunde des Evidenzbasierten Pickupdesigns,

hier im Forum (und auch an anderen Stellen im Internet) wird ja viel über die Funktionsweise von Pickups geschrieben und mehr oder weniger philosophiert. Sehr erfreulich finde ich, dass insbesondere hier "bei uns" wenig esoterisches Geschwurbel verbreitet wird, sondern von den allermeisten auf Basis der physikalischen Grundlagen erklärt wird - das erfreut den Ingenieur in mir :)
Insbesondere @MiLe, @micha70 und andere (die mir jetzt spontan nicht beim Namen einfallen) haben hier ja sehr viel geleistet - MiLe mit seiner Pickup Datenbank, den FEMM Simulationen zu Sidewindern, Micha mit seinen sehr sehr schönen Stromwandler Pickups.

Ich will euch heute an einer Sache teilhaben lassen (und gleich auch dazu befragen), an der ich gerade arbeite. Hintergrund: Bisher schauen sich alle (und ich bis vor kurzem auch), wenn man mit FEMM Magnetfeldsimulationen macht, immer die Feldlinienverteilung bzw. die räumlich aufgelöste magnetische Flussdichte B an und versuchen so, etwas zu lernen. Weiter treiben kann man das dann noch mit Variationen der Spulengeometrie, abschätzen von Induktivität, Kapazität, Wicklungszahl und Widerstand um die erforderlichen Parameter für den Resonanztiefpass 2. Ordnung zu bekommen.
Das ist alles nicht falsch - aber irgendwie auch nur die halbe Wahrheit, denn:

Die induzierte Spannung ist proportional zu dϕ/dt, nicht zu B.

Was heißt das nun genau? Entscheidend für die Spannung ist die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses ϕ und nicht die statische magnetische Flussdichte B. Betrachten wir einen typischen Singlecoil Pickup, hier simuliert als Stabmagnet (d=5 mm, h=18mm) aus Alnico 5 mit einer Saite aus Nickel in 4 mm Abstand:
pickup.png
Die Feldlinien des Magneten erreichen die Saite, diese wird magnetisiert und wenn sie sich dann bewegt, wird das statische Magnetfeld moduliert. Diese Modulation ist dann eine Veränderung des Feldes B und in der Spule wird eine Spannung induziert. Soweit, so klar.
Nur - in dieser Darstellung sehen wir die Änderung ja gar nicht wirklich.

Um jetzt eine zeitliche Änderung zu simulieren, werden zwei Simulationen mit unterschiedlichen Saitenabständen durchgeführt. Unter der Annahme, dass das Magnetfeld instantan der Saitenänderung folgt (was ich einfach mal voraussetze), ist das ein quasi-stationäres Problem. Mit anderen Worten: zwei stationäre Lösungen können als zwei Zeitschritte aufgefasst werden.
0.png
1.png
Die Saite bewegt sich von einem Zeitschritt zum nächsten um 1 mm. Theoretisch ließen sich auch komplexere Lösungen abbilden (z.B. die Schwingung abbilden), für einen ersten Schritt begnüge ich mich aber erstmal mit einer Impulsanregung durch vertikales Verschieben der Saite.

Was tun wir jetzt damit?
Für unseren Fall gilt: ϕ = B*A*cos(φ), hierbei wäre A die von der Spule umschlossene Fläche, B die magnetische Flussdichte und φ der Winkel, mit der die Feldlinien die Fläche A durchtreten. Da A konstant ist (die Spule bewegt sich nicht und wird weder größer noch kleiner) und die Feldlinien mehr oder weniger nur in y-Richtung (also vertikal) innerhalb der Spule verlaufen, gilt für uns näherungsweise:
dϕ/dt = dB/dt * A * cos(φ)
und noch einfacher:
Die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses ist direkt proportional zur zeitlichen Änderung der magnetischen Flussdichte entlang y.

Wenn man nun eine gegebene Spulengeometrie hat, sprich man simuliert in gleichem virtuellen Aufbau verschiedene Magnete, reicht es also erstmal aus, dB/dt in y-Richtung innerhalb der Spule (also zwischen den beiden Hälften, dort wo der Magnet in diesem Beispiel sitzt) auszuwerten. Das ganze passiert mit Matlab (und sollte auch in Octave laufen). Im wesentlichen wird das Magnetfeld für beide Zeitschritte extrahiert und die Differenz gebildet. Fachsprachlich wäre das jetzt also sowas wie ein Finite Differenzenverfahren.

Heraus kommen solche Daten:
results_Singlecoil_Cast Alnico 5 (LNG40)_01.png
Oben sehen wir die zeitlichen Ableitungen der Magnetischen Flussdichte in der x-Komponente (horizontal) und der y-Komponente (vertikal). Unten links, Stichwort Stratitis, sieht man die magnetische Flussdichte unmittelbar unterhalb der simulierten Saite.
Unten rechts zur Orientierung der Betrag der magnetischen Flussdichte (in T, Achsenbeschriftung fehlt).

Soweit erstmal zur Vorstellung der Simulationsumgebung - wo ich gerne für Kritik und Anregung offen bin. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet (mein eigentliches Fachgebiet ist Lasermesstechnik und Spektroskopie).

Jetzt zur Frage :)
Der Hintergrund der ganzen Geschichte ist, dass ich immer noch nach dem Heiligen Gral suche: ein Low-Z Pickup mit Output, den man sonst von High-Z Pickups kennt. Da man notgedrungen mit der Windungszahl runter muss und man zur Vermeidung von Stratitis das B-Feld nicht einfach beliebig erhöhen kann, bleibt nur noch die Magnetfeldkopplung übrig.

Wenn ich jetzt exakt die gleiche Simulation durchführe, allerdings nicht mit Alnico 5 sondern einem Keramischen Magnet (Ceramics 5), sieht das Ergebnis so aus:
results_Singlecoil_Ceramic 5_01.png
Entscheidend ist der Unterschied in dBy/dt, also oben rechts. Die Änderung des Magnetfelds ist a) deutlich schwächer obwohl das statische Magnetfeld deutlich stärker ist und b) zieht sie sich nicht mehr durch den gesamten Magneten nach unten. Der untere Teil der Spulen sieht also praktisch kein dB/dt und induziert nichts. Eigentlich nur nutzloser Balast, könnte man sagen. Induktivität, Kapazität und Widerstand sind natürlich nach wie vor betroffen.

Jetzt stellen sich folgende Fragen:
- Warum zieht sich die Änderung des Magnetfeldes bei Alnico (in der Simulation) bis zum unteren Ende des Magneten, aber nicht bei dem Keramik-Magnet? Ist Alnico vielleicht schon vollständig in der Sättigung und daher "transparenter" für Veränderungen?
- Ist das einfach totaler Käse und es sieht einfach eher immer so aus wie im zweiten Fall? Wenn das stimmt, wäre es ja viel sinnvoller, einen sehr starken Magnet viel weiter weg von der Saite zu platzieren, und die Spule so nah es geht an den Saiten zu haben? Da ist nunmal dB/dt prinzipbedingt am höchsten.

Leider habe ich gerade nicht mehr Zeit, das etwas auszuführen, hab gleich einen Termin. Also als Diskussionsanstoß zum Ansatz muss das gerade erstmal genügen :)

Ich bin gespannt, was ihr sagt!

Viele Grüße
Max

PS: Wenn jemand den Code möchte, bitte Bescheid sagen. Ist nicht schön geschrieben, aber ich gebe ihn gerne weiter.
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Re: FEMM Pickupsimulationen Next Level

#2

Beitrag von raumneun » 14.11.2022, 17:52

Noch ein Nachtrag: in den Simulationen oben sieht man, dass für die Differenzbildung die FEM Auflösung bei weitem noch nicht reicht, das gibt diese Artefakte, die man in der x-Komponente von dB/dt gut sieht. Die enstehen dadurch, dass die Netze für beide Simulationen neu gemacht werden müssen und für die Differenz aber auf ein gemeinsames reguläres Gitter interpoliert werden. Für genauere Untersuchungen braucht es noch eine Gitterstudie - an dem Effekt mit dem doch sehr großen Unterschied der Magnetmaterialien ändert das aber nichts.

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Re: FEMM Pickupsimulationen Next Level

#3

Beitrag von micha70 » 14.11.2022, 21:02

Hi!

Vielen Dank für die Erwähnung. Da werde ich wieder mal rot dabei. Impliziert ein wenig ich hätte gewusst was da passiert. Von diesem Fachgebiet verstehe ich herzlich wenig und versteife mich auf „Trial and Error“. Aber soweit meine ich die Ausführungen im Sinn verstanden zu haben, auch wenn es am Ende eines langen Tages schon ein wenig herausfordernd ist ;) An den damaligen Versuchen waren hauptsächlich noch einige andere Beteiligt. Bea, Markus, Ralf u.a.

Recht komplex wird diese Betrachtung doch erst noch wenn man die natürliche Bewegung der Saite betrachtet die ja „trudelnd“ ist und dabei natürlich die Magneten bzw. die links/rechts liegenden Poles mit/ohne unten liegendem Magnet beeinflusst. Genauso die Lage (und Material?) des Magneten oder auch irgendwelche Bleche welche die Form des Magnetfeldes beeinflussen. Sehr spannend und alles was da ein wenig Licht hineinbringt ist großartig (clap3) Ab da fällt es dann für mich in den Bereich des „Voodoo“ und ich bin raus :lol: Aber zu Simplifizieren ist zu Beginn meist nicht das Schlechteste. How to eat an elephant? In pieces!

Erhellendes kann ich damit jetzt nicht beitragen aber ich hoffe doch vielleicht noch das ein oder andere aufschnappen zu können. Vielen Dank fürs teilen (clap3)

Weitermachen!

LG
Micha

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Re: FEMM Pickupsimulationen Next Level

#4

Beitrag von raumneun » 15.11.2022, 09:06

Hallo Micha,

vielen Dank für deine Rückmeldung - wie immer (wie ich finde) mit einer ordentlichen Portion understatement :D Sicher, dass du keine britischen Wurzeln hast? :D Danke aber in jedem Fall für das Auflisten der anderen, die da auch wesentlich dazu beigetragen hatten. Ich habe den Stromwandler-Pickup Faden zwar in Teilen verfolgt, bin aber nicht mehr hinterhergekommen, weil da die Beitragsrate doch recht hoch war :)

Zur Sache: Ich habe tatsächlich vor (und es ist in Teilen schon implementiert), die Saitenschwingung genauer zu modellieren, sprich die Wellengleichung für eine eingespannte Saite zu lösen, inklusiver Obertöne. Das beinhaltet noch nicht Effekte wie endliche Saitensteifigkeit etc., aber dafür habe ich auch schon eine Idee :) Wie oben angerissen, beschäftige ich mich beruflich mit Lasermesstechnik bzw. optischen Messtechniken im Allgemeinen. Eigentlich komme ich aus der Verbrennungsforschung, mittlerweile mache ich aber Messungen in Wasserelektrolyse. Hier gibt es ein Verfahren, dass sich Diffuse Backlight Illumination nennt. Vereinfacht dargestellt: man hinterleuchtet ein sich bewegendes Objekt mit einer sehr hellen Lichtquelle (high power LED oder Laser) und nimmt den Schattenwurf mit einer Hochgeschwindigkeitskamera auf. Mir schwebt ein Testaufbau vor, wo eine 1-saitige Gitarre vermessen wird und man so das Frequenzspektrum der Saite räumlich aufgelöst (also quasi bei verschiedenen Bridge-Abständen) erhält. Der Vorteil gegenüber einer "einfachen" Mikrofonaufnahme ist, dass man eben genau weiß, wie das Spektrum an verschiedenen Stellen ist und nicht eine räumlich gemittelte Information erhält.
Das lässt sich dann (hoffentlich) mit einem Modell beschreiben und in die FEMM Simulation, dann natürlich auch mit deutlich mehr Zeitschritten, einbinden. Die Kameras die wir am Fachgebiet haben sind dafür ausreichend schnell (>70 kHz), dass Aliasing Effekte ausgeschlossen sein sollten. Das ist aber leider etwas arbeitsaufwändiger und das Equipment muss frei sein, daher dauert das wohl noch ein bisschen.

Dieses Modell, was dann die "echte" Physik etwas besser beschreibt, hat aber denke ich nur in einem Punkt einen echten Mehrwert: Man kann Apertur-Effekte (also der Kammfilter durch einen zu breiten Abtastbereicht bzw. mehrere Abtastbereiche) besser beschreiben. Modelle dafür gibt es in der Literatur tatsächlich schon, siehe z.B. hier. Wenn ich es richtig sehe, wurden hier aber keine zeitaufgelösten Simulationen gemacht und keine experimentelle Validierung.
Die Frage nach dem notwendigen Komplexitätsgrad (und damit "Kosten" der Auslegung) ist auch nicht immer ganz leicht zu beantworten und hängt vermutlich davon ab, was man optimieren möchte. Wenn man Pickups "schmal" genug baut und keine Verschaltung berücksichtigt und sich vor allem um den Magnetischen Fluss kümmern möchte, kann man die Kammfiltergeschichte ja erstmal getrost ignorieren und so simulieren wie oben. Wenn man diesen Effekt mitnehmen möchte, muss man wohl detaillierter simulieren. Für einen Neck-Pickup würde es dann vermutlich ein einfaches Saitenmodell tun, wo man die stationäre Lösung der Wellengleichung nimmt, für einen Bridge-Pickup sieht es dann bestimmt schon anders aus. Außerdem macht ja auch die Stelle, an der man die Saite anschlägt einen ordentlichen Einfluss, vor allem auf das transiente Einschwingverhalten. Das zu modellieren stelle ich mir etwas schwieriger vor.
Letzten Endes ist mein konkreter Plan für die nächsten Pickups vor allem die Optimierung der Magnetfeldkopplung um das Low-Z/High Output Dilemma anzugehen und die Pickups dann erstmal zu bauen und zu validieren (anhand von LRC Messungen und Output neben einem Singlecoil). Wo der Pickup dann eingebaut wird, mache ich dann (wie viele hier) einfach nach Gehör: Saiten drauf und Pickup solange verschieben, bis ich glücklich bin.

Viele Grüße
Max

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