Warum kein Geigenlack für Akustikgitarren?

wie und womit erreiche ich das gewünschten Finish?
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Warum kein Geigenlack für Akustikgitarren?

#1

Beitrag von Yaman » 28.05.2021, 09:28

Ich habe ein Cello, bei dem ich mal eine teilweise abgelöste Decke repariert habe. Dabei habe ich vorsichtig mit einer Klemsia-Zwinge gearbeitet. Nach dem Trocknen des Leims hatte ich im Lack einen Abdruck der Zwinge, der aber nach einiger Zeit wieder verschwand. Der Lack scheint also sehr elastisch zu sein.
Der Le Tonkinos-Öllack, den ich bei meinem Strat-Projekt testweise verwendet habe, war einfach aufzutragen, verlief super und glänzte wie ein Hochglanzlack. Er ist ebenfalls elastisch, wasserfest und mechanisch belastbar. Wenn nur nicht diese Staubaffinität beim Trocknen gewesen wäre.
Da Streichinstrumente auch Fichtendecken haben, warum werden Geigenlacke nicht auch bei Akustikgitarren verwendet?

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Gerhard
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Re: Warum kein Geigenlack für Akustikgitarren?

#2

Beitrag von Gerhard » 28.05.2021, 10:42

Yaman hat geschrieben:
28.05.2021, 09:28
Da Streichinstrumente auch Fichtendecken haben, warum werden Geigenlacke nicht auch bei Akustikgitarren verwendet?
Interessantes Thema. Dabei gilt es erstmal zu definieren, was "Geigenlack" eigentlich ist. :?: Das ist nämlich einfach nur ein Sammelbegriff für verschiedenste Lackarten, die auf Streichinstrumenten verwendet werden. Ich zitiere mal mich selbst aus diesem Thread hier: https://www.gitarrebassbau.de/viewtopic ... ck#p174319
„Geigenlack“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Lackarten, die auf Streichinstrumenten verwendet werden, um den viel Mythos verbreitet wird. Man könnte es am besten so sagen: egal, welchen Lack man nimmt, wenn man eine Geige damit lackiert ist es ein Geigenlack. Am häufigsten sind das Naturharzlacke, also Schellack, Kolophonium, Bernstein, Mastix etc entweder in Alkohol gelöst, dann ist es ein Spirituslack, oder in geschmolzener Form in einem trocknenden Öl eingekocht, dann ist es ein Öllack. Als trocknende Öle kommen z.B. Leinöl, Walnussöl und Tungöl zum Einsatz. Ätherische, also flüchtige Öle, werden zur Verbesserung der Streichfähigkeit beigesetzt. Die Lacke unterscheiden sich vor allem in der Auftragsart und in ihrer Trocknung. Spirituslacke trocknen durch Verdunstung des Alkohols, das Harz bleibt zurück. Öllacke trocknen einerseits durch Verdunstung der ätherischen Anteile, andererseits und hauptsächlich durch Aufnahme von Sauerstoff. Diesen Prozess nennt man Polimerisation und der kann einige Zeit in Anspruch nehmen.
Naturharzlacke sind wunderschön und toll zu verarbeiten, aber sie sind zu weich um eine robuste Oberfläche damit zu erzielen. Bei Streichinstrumenten spielt das keine so große Rolle, weil sie ohne viel Körperkontakt gespielt werden. Das robusteste unter den Naturharzen ist wohl Schellack, der auf Konzertgitarren häufig zum Einsatz kommt.
Was alle "Geigenlacke" gemeinsam haben, ist, dass der Auftrag schwieriger ist und länger dauert, als eine Spritzlackierung mit Nitro oder PU. Für die industrielle Fertigung ist das also mit Aufwand und hohen Kosten verbunden - man braucht auch besser ausgebildetes Personal dafür. Früher, als Gitarren vorwiegend noch in Manufakturen gebaut wurden, kam auch Spirituslack zum Einsatz (wohl auch mangels Alternative!) Und zuletzt noch, werden vom Endverbraucher heutzutage andere Ansprüche an eine Gitarre gestellt als an Violinen. Man hat sich an das Bild der industriell gefertigten, glattlackierten Gitarre gewöhnt, und so hat das eben auch auszusehen. Übrigens setzt sich die Spritzlackierung auch bei Geigen im Billigsegment immer mehr durch!

Es steht nirgends geschrieben, dass man keinen "Geigenlack" auf einer Gitarre verwenden darf, was ich auch selbst an meinen Archtops demonstriert habe. Wohlgemerkt, wenn man "zu warm" ist, bleibt man an der Oberfläche manchmal ein bisschen kleben.
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